Studiengang Zirkuskunst

Lange war es ein Traum, langsam wir es konkreter: Ein professioneller Zirkusstudiengang in Hannover?

Im Folgenden findet ihr einen Bericht von CircO-Gründer Wolfgang Pruisken über unseren Fachtag im November 2024, sowie eine ausführliche Dokumentation und weitere Studienergebnisse zum Thema als Download.

Zirkusakademie in Hannover: Ein wichtiger Auftakt zur Professionalisierung der Zirkuskünste

Am 11. November 2024 fand im Freizeitheim Vahrenwald in Hannover die Auftaktveranstaltung zur Gründung einer Zirkusakademie statt, organisiert vom Verein CircO Hannover e.V. und unterstützt von der Bundesarbeitsgemeinschaft Zirkuspädagogik sowie der Landeshauptstadt Hannover. Diese Veranstaltung war der Startschuss für die Entwicklung einer akademischen Ausbildung im Bereich Zirkuskunst und Zirkuspädagogik in Deutschland – ein Projekt mit dem Ziel, die Zirkuskunst auf eine professionelle Basis zu stellen und die kulturelle Bildungslandschaft zu erweitern.

Die Vision: Eine neue Ära für die Zirkuskunst

Die zentrale Vision des Projektes ist der Erhalt und die Weiterentwicklung des immateriellen Kulturerbes Zirkus in Deutschland. Durch die Etablierung einer Hochschulausbildung soll das lebenslange Lernen gefördert, die Kultur- und Kreativwirtschaft gestärkt und neue Berufsfelder erschlossen werden. Angesichts der wachsenden Nachfrage nach zirkuspädagogischen Angeboten, insbesondere in Schulen und in der sozialen Kinder- und Jugendarbeit, wird eine solche Institution als unerlässlich angesehen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Die Veranstaltung begann mit einem Austausch über die Bedeutung des Zirkus. Die Teilnehmer*innen betonten dessen Rolle als Raum für Kreativität, Gemeinschaft und persönliche Entwicklung. Unter dem Motto „Wir müssen etwas erfinden, was es noch nicht gibt“ wurde die Notwendigkeit einer Akademie betont, die nicht nur handwerkliches Können, sondern auch kulturelle Werte vermittelt.

Die Begrüßung erfolgte durch Bärbel Kuhlmey von CircO Hannover e.V. und Wolfgang Pruisken von der Bundesarbeitsgemeinschaft Zirkuspädagogik. Eva Bender, Dezernentin für Bildung und Kultur der Landeshauptstadt Hannover, unterstrich die gesellschaftliche Bedeutung des Projekts, das durch seinen inklusiven und kulturpädagogischen Ansatz eine wichtige Rolle für die Stadt Hannover spiele. Weit über 1.000 Kinder nutzten allein in Hannover regelmäßig Zirkusangebote, die Brücken zwischen Kultur, Bildung und Gemeinschaft schlagen.

Forschung und Perspektiven

Das Projekt basiert auf einer umfangreichen Recherche und Befragung, die Malte Peter präsentieren konnte. Eine Analyse der Ausbildungslandschaft in Europa und Nordamerika zeigte, dass Deutschland bislang keine universitäre Ausbildung für Zirkusartistik oder -pädagogik bietet. Im Ausland existieren jedoch etablierte Programme mit Bachelor-Abschlüssen, die als Vorbild dienen könnten.

Prof. Dr. Katherine Bruns präsentierte die Ergebnisse einer Interviewstudie mit Vertreter*innen aus Kultur, Verwaltung und Zirkuskunst. Die Studie zeigte eine hohe Zustimmung zur Notwendigkeit einer Akademie und lieferte den Auftakt für den folgenden Austausch in diversen Foren und Arbeitsgruppen.

Anschließend befragte Petra Jeroma, vom Moderationsteam der „Geheimen dramaturgischen Gesellschaft“ folgende Gäste im Podiumsgespräch:

Samuel Jornot: Zirkuspädagoge und Choreograf, ehemaliger Dozent an der Nationalen Fachhochschule für Zirkus in Frankreich, Gründer und Leiter der Academy für Circus and Performance Art (AcaPA) in den Niederlanden. Jenny Patchkowsky: Zirkusaktivistin und Netzwerkerin, Mitbegründerin des Bundesverbands Zeitgenössischer Zirkus, Leitung des Labor Cirque Research Köln und Mitherausgeberin von „Circus in Flux“. Marius Pohlmann: Zirkusartist und -aktivist, künstlerischer Leiter des Straßenkulturfestivals Nordhorn, Mitglied der Comanie Satchok und des Kollektivs Common Ground. Benjamin Richter: Künstler und Dozent an der Stockholm University of the Arts, tätig an der Schnittstelle von Zirkus und Tanz, internationaler Performer und Forscher. Martin Riedel: Zirkusartist, spezialisiert auf die Verbindung von Zirkuskunst und Technologie, internationaler Performer, Artistic Director in Norwegen, heute auch Hubschrauberpilot. Prof. Dr. Katherine Bruns: Dipl.-Psychologin und ehemalige Zirkusartistin, Leitung und Regie verschiedener Produktionen, Dozentin an der Hochschule für den Mittelstand.

Das Ergebnis der Diskussion wird gesondert dokumentiert. Hier kurz gefasst die Schlussfolgerungen:

  1. Erkenntnisse für die Zirkusakademie Hannover: Zirkus hat sich von einer traditionellen Kunstform zu einer modernen, interdisziplinären Ausdrucksform entwickelt. Akademien müssen anpassungsfähig und international sein, um Wandel und Vielfalt zu fördern. Es sollte Raum für künstlerische Innovation und persönliche Entwicklung geben, denn Zirkus lebt von Aktion und Interaktion.
  2. Wünsche und Perspektiven für eine Zirkusakademie

Die Nachfrage nach zeitgenössischem Zirkus in Deutschland wächst, es gibt jedoch einen Mangel an qualifizierten Künstler*innen. Eine Akademie könnte diese Lücke schließen und den deutschen Zirkus international sichtbarer machen. Es ist wichtig, die Vielfalt und die sozialen Komponenten des Zirkus zu fördern.

  1. Wichtige Werte für die Circus Akademie:

Forschung, künstlerische Freiheit und Experimentieren sollten im Mittelpunkt stehen. Studierende sollten darin unterstützt werden, ihre eigenen Perspektiven zu entwickeln und Risiken einzugehen. Der Fokus sollte auf Prozessorientierung und Selbstbestimmung im Lernprozess liegen.

  1. Was Menschen brauchen, um Zirkusartist*innen zu werden

Leidenschaft, Ausdauer und der Mut, gesellschaftliche Konventionen in Frage zu stellen, sind unerlässlich. Unterstützung durch eine Gesellschaft, die Zirkus als wertvollen Beruf anerkennt, ist wichtig. Akademien müssen praxisorientierte Ausbildungsmöglichkeiten schaffen, die künstlerische und wirtschaftliche Aspekte vereinen.

  1. Ausbildungskriterien

Die Aufnahme sollte sich auf Motivation, Neugier und Potenzial konzentrieren, weniger auf Vorkenntnisse. Lehrende müssen flexibel sein, um Studierende individuell zu fördern. Eine Hochschule muss die Balance zwischen künstlerischer Freiheit und praxisorientierter Ausbildung halten.

  1. Zukunftsvisionen für eine Zirkusakademie

Sie sollte ein Ort sein, an dem neue Zirkusdisziplinen entstehen können. Es muss ein Bewusstsein für Vielfalt und Gemeinsamkeit geschaffen werden.Die Akademie könnte als Plattform dienen, die Zirkuskünstler*innen dazu befähigt,  gesellschaftliche Diskussionen und Innovationen voranzutreiben.

Nach einem gemeinsamen Mittagessen an einer großen Tafel, verteilten sich die Teilnehmenden auf verschiedenen Arbeitsgruppen.

Die Ergebnisse:

AG Traumzirkusakademie

Die Gruppe diskutierte umfassend über notwendige Räumlichkeiten und infrastrukturelle Anforderungen für die Akademie. Sie betonte die Bedeutung flexibler, barrierefreier und gut ausgestatteter Räume, darunter Sporthallen, Tanzsäle, Musikräume, Werkstätten und Verwaltungsbüros. Besondere Merkmale wie Aufhängungsmöglichkeiten, große Türen, Schallschutz und Abdunklungsmöglichkeiten wurden hervorgehoben. Hinsichtlich der Lage wird eine gute Anbindung an den ÖPNV und ein freundliches Umfeld als wesentlich betrachtet. Offene Fragen betreffen Innovation und Alleinstellungsmerkmale der Akademie.

AG Resilienz und Nachhaltigkeit

Zentrale Themen waren psychischer Druck, körperliche Belastungen und die Herausforderungen der Selbstorganisation für Zirkuskünstler*innen. Lösungsansätze umfassen die Einführung von Unterrichtseinheiten zu Organisation, Marketing und Resilienz, eine modulare Bachelor-Ausbildung und begleitende Kurse zur Gesundheitsförderung. Die Integration von Zusatzqualifikationen und die Planung langfristiger Karrieren – auch über die aktive Zirkuszeit hinaus – wurden als notwendig erachtet.

AG Netzwerke und Kooperationen

Die Arbeitsgruppe hob die Bedeutung interdisziplinärer und internationaler Kooperationen hervor. Hochschulen, Varietés, Kulturzentren und Verbände sollen aktiv eingebunden werden, um Praxiserfahrungen zu ermöglichen. Herausforderungen wie der Mangel an qualifizierten Fachkräften und die Schaffung eines nachhaltigen Studiengangs wurden thematisiert. Ein zukunftsorientiertes Konzept, das Kunst und Pädagogik verknüpft, steht im Fokus.

AG Inhalte der Ausbildung

Die Ausbildung soll durch ein Alleinstellungsmerkmal und interdisziplinäre Ansätze überzeugen. Praktische Bewegungskompetenzen, technische Sicherheit und Ausdrucksformen wie Tanz und Performance wurden als Kernkompetenzen identifiziert. Nebenkompetenzen wie Kulturpolitik, Resilienz und künstlerische Psychologie ergänzen das Konzept. Innovativ ist die Förderung vergessener Kunstformen und die Offenheit für Diversität. Praxisphasen und enge Verbindungen zur Berufswelt sollen den Transfer in die Praxis stärken.

AG Offener Tisch

Zentrale Themen waren Feedbackmethoden, Diversität und die Balance zwischen Technik und Kreativität. Die Bedeutung von Vorbildern und Netzwerken für Nachwuchstalente wurde betont. Gleichzeitig unterstrich die Gruppe die Notwendigkeit einer klaren künstlerischen Leitung, um die Philosophie der Schule zu bewahren. Diversität und niedrigschwelliger Zugang sollen aktiv gefördert werden.

Diese Ergebnisse verdeutlichen die komplexen Anforderungen und den hohen Anspruch an eine innovative, zukunftsorientierte Zirkusakademie, die sowohl künstlerische als auch pädagogische Ziele erfüllt.

Wolfgang Pruisken, Januar 2025

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